A. Der Mangelbegriff | iurastudent.de (2024)

I. Sachmangel, § 434 BGB

Der § 434 BGB wurde mit Wirkung zum 01.01.2022 völlig neu gefasst, wobei das bisher Gelernte dabei nicht völlig umsonst war, da inhaltlich keine grundlegenden Veränderungen stattfanden.

Die Sache ist demnach frei von Sachmängeln gem. § 434 I BGB, wenn sie den subjektiven Anforderungen gem. § 434 II S. 1 BGB, den objektiven Anforderungen gem. § 434 III S. 1 BGB sowie eventuell den Montageanforderungen gem. § 434 IV BGB entspricht.

Der § 434 BGB ist – wie bereits vor der Reform – Punkt für Punkt durchzuprüfen. Sind die subjektiven Anforderungen gegeben, ist weiter zu prüfen, ob auch die objektiven Anforderungen gegeben sind und sofern die Sache eine Montage bedarf, ob dessen Anforderungen ebenfalls gegeben sind. Neu ist nun, dass hierin kein sog. Stufenverhältnis mehr gegeben ist, sondern im Verhältnis zueinander gleichgestellt sind. Die Sache muss sowohl den subjektiven als auch den objektiven und evtl. den Montageanforderungen kumulativ gerecht werden. Dabei sind nach § 434 III S. 1 BGB durch „soweit nicht wirksam etwas anderes vereinbart wurde“ auch negative Vereinbarungen über die Beschaffenheit der Sache möglich bzw. die objektiven Beschaffenheiten sind abdingbar. Diese Vereinbarungen sind iRe Verbrauchsgüterkaufs allein unter Berücksichtigung des § 476 I S. 2 BGB zu sehen und nur bei Vorliegen dessen strengen Voraussetzungen zulässig.

1. Subjektive Anforderungen

Die Prüfung des Sachmangels ist mit der Überprüfung der subjektiven Anforderungen zu beginnen. Die Sache entspricht den subjektiven Anforderungen gem. § 434 II S. 1 BGB, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat, sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen einschließlich Montage- und Installationsanleitungen übergeben wird.

a) § 434 II S. 1, Nr. 1 BGB

Die Sache ist demnach nach § 434 II S. 1 Nr. 1 BGB mangelhaft, wenn die tatsächliche Ist-Beschaffenheit von der vertraglich vereinbarten Soll-Beschaffenheit negativ abweicht. Die Vereinbarung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen und ist im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln. Der Begriff der Beschaffenheit wird näher in § 434 II S. 2 BGB dargestellt und erfasst nicht allein die physischen Eigenschaften der Sache, sondern auch deren unmittelbarer sowie mittelbarer Beziehungen zu seiner Umwelt in tatsächlicher, rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Die Aufzählung des § 434 II S. 2 BGB ist nicht abschließend („und sonstige Merkmale“). Für den Begriff der Funktionalität findet sich die Legaldefinition im § 327e II S. 2 BGB und stellt die Fähigkeit eines digitalen Produkts dar, seine Funktionen seinem Zweck entsprechend zu erfüllen. Für den Begriff der Kompatibilität findet sich eine Legaldefinition in § 327e II S. 3 BGB. Nach dieser ist die Kompatibilität die Fähigkeit eines digitalen Produkts, mit Hardware oder Software zu funktionieren, mit der digitale Produkte derselben Art in der Regel genutzt werden, ohne dass sie konvertiert werden müssen. Die Interoperabilität ist in § 327e II S. 4 BGB definiert und ist die Fähigkeit eines digitalen Produkts, mit anderer Hardware oder Software als derjenigen, mit der digitale Produkte derselben Art in der Regel genutzt werden, zu funktionieren.

aa) Zu-Wenig-Lieferung

Weiter ist nach § 434 II S. 2 BGB die Zu-Wenig-Lieferung als Sachmangel erfasst. Der Käufer kann demnach über das Sachmängelrecht nicht nur die Lieferung der fehlenden Teilleistung iSe Nachbesserung verlangen, sondern auch eine Lieferung der gesamten Leistung iSe Nachlieferung fordern. Dies ist für den Käufer vor allem in den Fällen relevant, bei denen die Sachen aus einem Herstellungsprozess stammen sollen, z. B. Fliesen, Tapeten, Stoffe etc., um mögliche Farb- und Musterunterschiede zu vermeiden.

bb) Zu-Viel-Lieferung

Eine negative Abweichung der Soll-Beschaffenheit ist zudem auch bei einer Zu-Viel-Lieferung gem. § 434 II S. 2 BGB („Menge“) gegeben.

b) § 434 II S. 1, Nr. 2 BGB

Darüber hinaus muss die Sache sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignen gem. § 434 II S. 1 Nr. 2 BGB. Bisher konnte die Verwendung der Sache ausdrücklich oder konkludent vereinbart werden. Aufgrund der Aufnahme innerhalb der subjektiven Anforderung ist nun eine Vereinbarung der Parteien über diese Verwendung erforderlich. Zwar fordert der Gesetzeswortlaut eine solche nicht ausdrücklich, doch sieht die Richtlinie eine dahin gehende Zustimmung des Verkäufers zu dem vorausgesetzten Zweck vor. Bei Vertragsschluss ist demnach für die Annahme eines Sachmangels nach § 434 II S. 1 Nr. 2 BGB erforderlich, dass der Käufer dem Verkäufer über den Zweck bzw. die Verwendung informiert und dieser ausdrücklich oder konkludent zustimmt.

c) § 434 II S. 1, Nr. 3 BGB

Der § 434 II S. 1 Nr. 3 BGB sollte insofern keine Probleme darstellen und hat – aufgrund der in § 434 II S. 2 BGB nicht abschließenden Aufzählung hinsichtlich der möglichen Beschaffenheit – eher klarstellenden Charakter.

2. Objektive Anforderungen

Der § 434 III S. 1 BGB bestimmt die objektiven Anforderungen an die Kaufsache, soweit nicht wirksam etwas anderes zwischen den Parteien vereinbart wurde.

Nach § 434 III S. 1 Nr. 1 BGB muss sich die Sache für die gewöhnliche Verwendung eignen. Die gewöhnliche Verwendung ist dabei objektiv – unabhängig von den Vorstellungen des Käufers – zu bestimmen.

Eine Sache muss weiter die übliche Beschaffenheit gem. § 434 III S. 1 Nr. 2 BGB aufweisen. Die übliche Beschaffenheit wird objektiv im Vergleich zu anderen Sachen der gleichen Art ermittelt und erfasst alle Merkmale einer Sache. Der § 434 III S. 2 BGB zählt mögliche Merkmale auf, ist aber nicht abschließend.

Der § 434 III S. 1 Nr. 2 lit. b BGB erfasst auch Merkmale, die der Käufer aufgrund von öffentlichen Äußerungen seitens des Verkäufers oder einem anderen Glied der Vertragskette erwarten durfte. Öffentliche Aussagen werden an eine unbestimmte Zahl von Adressaten gerichtet und diesen zugänglich gemacht. Es handelt sich primär um solche des Herstellers oder anderen Vorverkäufern in der Werbung. Dabei muss genau differenziert werden, denn Aussagen von Dritten werden hiervon nicht erfasst, z. B. eine von einem anderen Verkäufer individuell vorgenommene Werbekampagne. Ebenso wenig sind auch nach der n.F. keine Anpreisungen oder pauschalen Aussagen des Verkäufers iRd Verkaufsgesprächs erfasst, z. B. „bestes Auto“.

Nach dem § 434 III S. 1 Nr. 2 BGB sind nur solche Beschaffenheiten erfasst, die der Käufer erwarten konnte, d.h. die Aussagen müssen ihm zumindest in der Weise bekannt gewesen sein, dass sie seine Kaufentscheidung beeinflussen konnten. Sie müssen demnach nicht ausdrücklich kausal geworden sein, aber zumindest die Möglichkeit der Beeinflussung muss bestanden haben. Er kann sich daher nicht auf Aussagen berufen, die ihm zum Zeitpunkt des Kaufes nicht bekannt waren. Dies stellt der § 434 III S. 3, 3. Var. BGB ausdrücklich klar und schließt ebenfalls Aussagen aus, die der Verkäufer weder kannte noch kennen musste oder solche, die entsprechend berichtigt wurden. Die § 434 III S. 1 Nr. 3 und 4 BGB sind selbsterklärend und werfen keine größeren Probleme auf.

Der maßgebliche Zeitpunkt bleibt auch nach der n.F. der Gefahrübergang gem. § 434 I BGB. In der Regel liegt dieser in der Übergabe der Sache nach § 446 S. 1 BGB. Besonderheiten ergeben sich bei digitalen Produkten und Inhalten, vor allem hinsichtlich einer möglichen Aktualisierung, bei denen eine Mangelhaftigkeit aufgrund eines Zeitpunktes nach Gefahrübergang zu bestimmen ist (später mehr).

3. Montageanforderungen

Der § 434 IV BGB erfasst Montageanforderungen, soweit eine solche vertraglich vereinbart war bzw. durchgeführt wurde. Die Sache ist mangelhaft gem. § 434 IV Nr. 1 BGB, wenn die Montage nicht sachgemäß durchgeführt wurde oder eine mangelfreie Sache durch die Montage in ihrer Funktionsfähigkeit kausal beeinträchtigt wurde.
Nach § 434 IV Nr. 2 BGB kann die Sache trotz unsachgemäßer Montage mangelfrei sein, sofern der Mangel nicht auf der unsachgemäßen Montage oder auf einer fehlerhaften Anleitung beruht. Die Nr. 2 erfasst primär die Fälle der eigenen Montage durch den Käufer.

4. Aliud-Lieferung

Liefert der Verkäufer eine andere Sache als die geschuldete, stellt dies bereitseinen Mangel nach § 434 V BGB dar. Eine Sache, die offensichtlich nicht auf die geschuldete Leistung erfolgen sollte, wird dabei nicht erfasst. Der § 434 V BGB entspricht dem § 434 III BGB a.F. Durch die Aufnahme des § 434 II S. 2 BGB und der Art, Menge und Qualität einer Sache verliert der Absatz 5 jedoch erheblich an Bedeutung.

Problem:
Rückforderung des zu viel Gelieferten durch den Verkäufer

Bisher konnte der Verkäufer die zu viel gelieferten Sachen kondizieren nach § 812 I S. 1, 1. Alt. BGB, ob das aufgrund des nun eindeutigen Wortlauts des § 434 II S. 2 BGB „Menge“ ohne jegliche Einschränkung weiterhin möglich sein soll, bleibt fraglich.
Die Frage ist, ob diese Zu-Viel-Lieferung einen Rechtsgrund iSd Bereicherungsrechts darstellt. Zunächst möchte e.A. bereits eine Anwendbarkeit des § 434 V BGB iRe Stückschuld grds. ablehnen. Dagegen spricht jedoch, dass dem Abs. 4 keine dahin gehende Unterscheidung zu entnehmen ist, sondern dieser allein auf die Aliud-Lieferung abstellt, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine Stück- oder Gattungsschuld handelt. Es ist demnach die Anwendbarkeit des § 434 IV BGB insoweit gegeben, sodass auch ein Rechtsgrund vorliegt. Dennoch kann der Verkäufer nach dieser Ansicht zumindest den Mehrwert nach § 812 I S. 1, 1. Alt. BGB herausverlangen. Dieser ist dann idR als Wertersatz iSe Geldleistung nach § 818 II BGB zu leisten. Dies erscheint auch nur gerecht, denn der Verkäufer hat keine Möglichkeit, seinen Fehler zu beheben, sofern der Käufer keine Mängelrechte geltend macht. Stellt man hierzu ein überspitztes Problem dar, wird deutlich, dass dies in manchen Fällen ansonsten zu unbilligen Ergebnissen führen könnte.

Bsp.: K kauft bei V einen alten, gebrauchten Trabbi. Aufgrund eines Fehlers im Vertrieb wird dem K jedoch ein neuer Mercedes geliefert. (Vorsicht: Dient nur der Verdeutlichung, da es an der Erkennbarkeit scheitert!)

Eine andere Ansicht kommt zum gleichen Ergebnis, löst diese Problematik aber über § 241a BGB (beachte: nur iRe Verbrauchsgüterkaufs!).

Der § 434 IV BGB ist nur anwendbar, wenn die Aliud-Lieferung aus der Sicht des Käufers zum Zwecke der Vertragserfüllung vorgenommen wird. Ist es für den Käufer offensichtlich erkennbar, dass es sich dabei nicht um die geschuldete Leistung handelt, ist der § 434 IV BGB nicht anwendbar.

II. § 435 BGB - Rechtsmangel (unverändert)

Wie bereits oben geschildert, bezieht sich die Primärpflicht des Verkäufers auch hier auf die sach- und rechtsmangelfreie Leistung. Daher können aus dem Vorliegen eines Rechtsmangels iSd § 435 BGB ebenso Mängelrechte des Käufers resultieren.

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